Die Dorfschule in Ostafrika

Ein ungewöhnlicher Reisebericht in einer ungewöhnlichen Zeit von Firmengründer Joachim Teiser, Neuhof

Weit aufgestellte riesige Ohren, den gewaltigen Kopf hoch erhoben und die Respekt einflößenden Stoßzähne in Richtung der seltsamen Eindringlinge gerichtet, so steht er bedrohlich nahe vor uns. Flucht, Ehrfurcht oder doch auf den Speer und die Erfahrung des jungen Masaai-Kriegers vertrauen? Die Gedanken fahren innerhalt weniger Sekunden Achterbahn…

Gestern noch im grauen, kalten deutschen Corona-Alltag stehen mein Freund Ivor Vancuylenburg und ich heute in der flimmernden Hitze des Afrikanischen Buschs. Der Blick auf die eisbedeckten Vulkangipfel des Kilimanjaro scheint schon beinahe unwirklich angesichts der endlosen trockenen Savanne des südlichen Amboseli Nationalparks. Die morgendliche Fußpirsch mit dem stolzen Masaai Steve zeigt schnell welch bedeutendes Ökosystem das Gebiet von Kilimanjaro West und Amboseli für die Wildtiermigration darstellt. Auf der Suche nach Wasser und Nahrung nutzen seit Jahrtausenden Büffel, Antilopen und Elefanten den Land Korridor zu den regenreichen Vulkanen von Mont Meru und Kilimanjaro. So auch der ausgewachsene Elefantenbulle der uns jetzt bedrohlich nahe gekommen ist und wütend mit dem Rüssel und den Vorderfüßen roten Staub aufwirbelt. Das schützende Blech unseres Toyota Landcruisers mit Fahrer Hosea steht Kilometer weit entfernt unter einem Akazienbaum. So wird schnell klar, dass nur noch ein langsamer „geordneter Rückzug“, den sechs Tonnen schweren Einzelgänger nicht aus dem Auge lassend, die richtige Entscheidung sein kann. Auf den Masaai-Speer wollen wir uns als langjährige Naturschützer und Afrika-Kenner besser nicht verlassen, auch Massai Krieger Steve ist sichtlich über jeden Meter Distanz zu dem weiterhin Wut schnaufenden grauen Riesen erleichtert. Begegnungen dieser Art sind uns nicht unbekannt, erst im Dezember 2018 wurde ich bei der Besteigung des Berges Mount Meru auf 3500 Metern Höhe von einem jungen Elefantenbullen eindrucksvoll darauf hingewiesen wer hier im Regenwald der Chef ist!

Meine damalige Trekkinggruppe berichtet noch heute mit Gänsehaut über das Erlebnis.

Zurück im schützenden Toyota Landcruiser auf dem Weg zur Lodge begegnen wir immer öfter kleinen Ziegen- und Rinderherden, welche von Kindern auf der Suche nach etwas Grün durch den Busch geführt werden. Es sind Kinder vom Nomadenstamm der Maasai die hier in der Savanne westlich des Kilimanjaros bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren Verantwortung übernehmen müssen! Verantwortung für das einzige Kapital der Familie, das Vieh.
Täglich sind die Kinder aber auch den Gefahren im Busch ausgesetzt. Beinahe kommt in mir Scharm auf, wenn ich an die Begegnung mit dem Elefantenbullen vor wenigen Minuten denke…

 

Sieht so der Garten Eden aus? Im Schatten des Kilimanjaro

Morgen wollen wir in unserem Masaai-Dorf Namayani, kaum eine halbe Stunde Fahrzeit von hier die neue Schulküche der Ostafrika-Kinderhilfe in Betrieb nehmen. Die rund 125 Kinder der Schule haben Glück. Ihnen bleibt das tägliche Viehhüten zumindest während der Schulzeit erspart, aber nicht der lange und gefährliche Schulweg durch den Busch.

Doch werden die Eltern eine Jahrhunderte alte Tradition brechen und die Kinder statt zum Viehhüten jetzt in die neu errichtete Schule schicken? Eine billige Arbeitskraft die jetzt plötzlich fehlt?

Vor einem Jahr sind wir auf dem Weg zu dem idyllisch am Fuß des fast 5000 Meter hohen Vulkan Mont Meru gelegener Arusha Nationalpark auf die kleine Dorfschule Namayani gestoßen – mitten in der endlosen Weite der Steppe, nur vom Kilimanjaro und Mont Meru Vulkan begrenzt. Soweit das Auge reicht keine größere Siedlung, nur in der Ferne wenige Kreisrunde Bomas, die Hütten der Masaai. Zebras, Giraffen und Antilopen haben sich friedlich unter die Rinder- und Ziegenherden der Masaai gemischt, der stahlblaue Himmel mit einigen wenigen schneeweißen Federwolken überzieht die leicht hügelige Landschaft – sieht so der Garten Eden aus? Unwillkürlich müssen mein Begleiter Ivor und ich an den großen Deutschen Schauspieler Hardy Krüger denken, der 1962 unweit von hier völlig unerwartet einen Blick auf dieses Stück Afrika werfen konnte und später niederschrieb: „Alle Farben dieser Welt bereiteten sich auf einem riesigen, gewellten Teppich vor mir aus. Ein Land lag mir zu Füßen, von einer Schönheit und Friedlichkeit, die ich mit Worten nicht beschreiben kann. Auch wenn ich hundert Jahre alt werden sollte, werde ich noch in meiner letzten Stunde nach Worten suchen müssen, die wiedergeben können, was ich empfand, als ich den Kilimanjaro aus der endlosen Steppe aufsteigen sah. Vor diesem Wunder der Natur gestellt fühlte ich, wie klein ich war als Mensch, als Eindringling, und wie groß, weil mir das Eindringen nicht verwehrt wurde…“

Der „Eindringling“ der hier einige Wochen zu den Dreharbeiten für den späteren Erfolgsfilm „Hatari“ bleiben wollte blieb über zehn Jahre Liebe auf den ersten Blick!

 

Die weiße Jägerin

Doch schon viel früher, im Jahre 1907 entdeckte eine junge Frau aus Petersdorf in Schlesien die überwältigende Schönheit des unberührten Landes. Zu Füßen des Mont Meru verwirklichte die ihren Traum von Afrika. Die Monatelange beschwerliche Anreise bis jenseits des Äquators war angesichts dieses Paradieses schnell vergessen. Sie war in der Kolonie Deutsch-Ostafrika angekommen. Heute erinnert nur noch ein verblichener Grabstein im Busch an diese tapfere Frau, die um ihr geliebtes Stück Land bis zu ihrem Lebensende gekämpft hat und als „weiße Jägerin“ in die Geschichte Tansanias eingegangen ist.

Auch meine Liebe zu Afrika wurde mir früh in die Wiege gelegt. Unvergessen die ersten Fernsehberichte von Dr. Bernhard Grzimek von den großen Tierwanderungen in Ostafrika. Die unglaublichen Bilder aus der endlosen Steppe der Serengeti, die zahllosen Raubtiere im Ngorongorokrater – das unbekannte hat sich tief in das Kinderherz eingebrannt und die Sehnsucht nach Afrika beflügelt. Wie weitsichtig der Naturschutzgedankte von Bernhard und Michael Grzimek waren wird heute den Safari-Urlaubern angesichts der rieseigen Tierherden schnell bewusst. Geblieben ist das Grab der beiden Visionäre im Dschungel am Ngorongoro Kraterrand…

 

Ein unvergesslicher Empfang

Und heute stehe ich auf Sichtweite zur winzigen Namayani Schule in dieser grandiosen Landschaft. Zwischen Kilimanjaro und Mont Meru. Unser Fahrer Hossea schaut mich mit seinen großen Augen fragend an als ich den Allradwagen kurz vor dem Ziel anhalten lasse und minutenlang diesen Blick aufsauge. Werden wir heute Teil der Geschichte? Als wir vor zwei Jahren zusammen mit Reisegästen den Verein „Kinderhilfe Ostafrika“ gegründet haben wollten wir armen Kindern in Tansania helfen. Mit jeder Gruppenreise nach Tansania haben nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen des Landes mehr und mehr unsere Herzen erobert. Die enorme Gastfreundschaft und die Art wie sie als eines der weltweit ärmsten Völker ihr Leben meistern hat Spuren hinterlassen – aber auch bei unseren Gästen aus Deutschland. In kürzester Zeit konnten mit den Spenden Schreibtische und Bänke in der Stadt Arusha gekauft und zur Schule transportiert werden. Die „Muzungus“ (weiße) aus Europa packten begeistert mit an und dem Unterricht auf dem blanken Betonboden hatte vorerst ein Ende. Täglich kamen mehr Kinder aus den Dörfern zur Schule


Wenn man in die Dorfgemeinschaft aufgenommen wird

Zweihundert Meter von der Schule endet unsere Fahrt abrupt. Auch für den sichtlich beeindruckten Fahrer Hosea gibt es kein Weiterkommen. Der Allradwagen ist plötzlich umstellt von hunderten in Farben prächtigen Tüchern gekleideten Masaai. Die Tänze und Gesänge werden immer rhythmischer, unzählige, dünne Arme greifen zu und heben uns hoch auf schmale Schultern Wiederstand ist zwecklos, der bunte Tross setzt sich tanzend und mit spitzen Freudenschreien in Richtung Schule in Bewegung. Mir ist dieser unerwartete Empfang eher unangenehm – die Corona Zeiten sind auch an meinem Körpergewicht nicht spurlos vorrübergegangen! Wie schaffen das diese großen, aber sichtlich abgemerkelten Gestalten mich mit wachsender Begeisterung auf ihren Schultern bis zur Schule zu tragen? Gute Ernährung sieht anders aus. Hier weitab der üblichen Routen sind es nicht die gut aussehenden Masaai, welche täglich für Geld an der staubigen Piste zur Serengeti auf fotografierende Safaritouristen warten, sondern bittere Lebensrealität. Mit einigen gekonnten Luftsprüngen und mitsingen des monotonen Kriegergesangs gelingt es mir das Herz des anwesenden Dorfhäuptlings schnell zu erobern – mein jahrelanges Interesse an der Lebensweise der Masaai zahlt sich jetzt binnen Sekunden aus.

Wir sind in die Dorfgemeinschaft aufgenommen!

 

Sind 18 Kilometer Schulweg zumutbar?

Schon der grandiose Empfang zerstreut unsere Befürchtung, dass die Kinder nur Gelegentlich oder gar nicht zur Schule gesichtet werden- im Gegenteil. Die beiden Schulräume sind über voll und an einem kleinen Schreibtisch für zwei Kinder sitzen vier. Wir blicken in einhundert leuchtende Augen. Die anfängliche Skepsis der Eltern gegenüber der Schule hat sich binnen weniger Monate völlig gewandelt. Sicherlich haben die beiden jungen Masaai William und Peter an dieser positiven Entwicklung einen erheblichen Anteil. Von Anbeginn des Projekts sind die beiden unsere Ansprechsparten vor Ort und entwickeln eine bewundernswerte Dynamik – in Afrika nicht gerade überall selbstverständlich. Wir haben schon zahlreiche gut gemeinte Projekte der großen Hilfsorganisationen im Sande versickern sehen. Ivor blickt mich zufrieden an, ohne zu sprechen wissen wir, dass Konzept dieser Art Entwicklungshilfe aufgeht: jede Reisewelt-Gruppe besucht während des Aufenthaltes das Projekt, gewinnt einen tiefen Einblick in das wirkliche, archaische Leben der Menschen, sieht die Erfolge und wird unbewusst zum Kontrolleur unserer Entwicklungshilfe. Aber auch in Deutschland stärkt uns der gegründete Verein mit Rechtsanwalt Werner Löffler an der Spitze mit der Erledigung vieler administrativer Aufgaben den Rücken – alle arbeiten unentgeltlich für die Sache. Entwicklungshilfe mit Tourismus – dieses Konzept hat bereits in unserem Projekt in Sri Lanka vielfältige Früchte getragen.

 

125 Kinder erhalten ein Mittagessen

Weißer Rauch steigt auf… die neue Schulküche mit drei Kochstellen wird heute erstmalig eingeheizt. Emsiges Treiben. Es tut gut zu sehen wie eifrig die Eltern mit anfassen-  Hilfe zur Selbsthilfe!

Das Gebäude ist stabil und zweckmäßig gebaut, die Investition hat sich gelohnt. Die vielen Spenden in Deutschland können stolz sein. Gänsehautatmosphäre kommt auf als 125 Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren geduldsam in einer Reihe stehen um den gekochten Ugali (Maisbrei) entgegenzunehmen. Kein Drängeln, nur flüsternd sprechend stehen sie minutenlang ohne Schatten in der Sonne um mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck das Töpfchen Maisbrei zu erhalten. Das dürre Steppengras rings um das Küchenhaus füllt sich zusehends  mit Kindern, welche wortlos ihr erstes Essen an diesem Tag zu sich nehmen. Viele haben einen Schulweg von 9 Kilometern hinter sich und laufen diesen am Nachmittag wieder zurück.

Meine Gefühle spielen verrückt, sprechen kann ich nicht mehr und die feuchten Augen sind kaum mehr zu verbergen. In 35 Jahre, Jahren touristischer Arbeit und ungezählten Auslandsreisen auf alle Kontinente habe ich schon viel Armut erlebt. Aber diese Momente, die Glück und Hilfslosigkeit zugleich hervorrufen sind nun mal schwer zu verarbeiten.

Rasanter Bevölkerungszuwachs, besonders auch in Afrika, Siedlungsdruck auf die Wildschutzgebiete, Wilderei, viele Gedanken ziehen einem durch den Kopf, wenn man sich der großen Verantwortung bewusst wird. Eines ist jedoch sicher – ohne Schulbildung dreht sich das Armutskarusell weiter und Familien mit acht oder zehn Kindern werden weiter Normalität sein- mit allen Spätfolgen. Bei unserer langen Reise am nächsten Tag in Richtung Serengeti haben Ivor und Ich viel Zeit über den Erfolg von Entwicklungshilfe nachzudenken. Sensibilität und Einfühlvermögen ist angesagt, Jetzt wo wir durch das Kraterhochland unweit des Afrikanischen Grabenbruchs unterwegs sind wissen wir, dass man alte Kulturen nicht plötzlich verändern kann und soll.

Mit einem guten Gefühl verlassen wir nach zwölf Tagen unser geliebtes Tansania um uns nach negativem PCR Test in häusliche Quarantäne im kalten Deutschland zu begeben. Ohne Zweifel, es war eine bewegende Reise in ein traumhaftes Land. Es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt!

Gut, dass bereits am 23. März unsere nächst Safarigruppe kommt, das Land hat es bitter notwendig.

 

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